Ich bin ein Ausländer.
Eines Morgens finde ich mich aus unerfindlichen Gründen auf einem cremefarbenen Moped fahrend wieder. Einige Momente zuvor stand ich noch still, ein Mann drehte unerwartet am Gas und ich hopste nach vorn. Ich folge halbwach einem silbergrauen Van im Morgenlicht. Rinks und lechts lauschen die Leisfelder an mir vorbei. Ungekämmt. Die retrospektiv betrachtete Irrelevanz der Ungekämmtheit sei dem feuchten Fahrtwind geschulded. Haarsträubend. Ahnungslose Moskitos und andere Insekten ähnlicher Größe klatschen in zeitlich und örtlich unregelmäßgen Abständen auf mein aufgequollenes Gesicht. Für alle Beteiligten überraschend. Sie erzählen mir von einem nächtlichen Erdbeben. Nicht alle Betelnussmädchen tragen in ihren mit grellen Neonröhren beleuchteten Glaskästen einen Bikini. Manche sind sogar Männer, keine Ladyboys. Die Anderen brieten verbotenerweise Popcorn über nächtlichen Flammen aus der Erde. Künstliche Wimpern, Barbielenses, eine zweite Lidfalte entsehen lassende Klebefolien, Extensions, Bleichcremes, Magic Bras und Party Bras – was ist an euch eigentlich noch echt? Und wie viele Schweine müssen sterben für einen Pizzateller Schweineschwänze?
I experience random things.
Ich bin ein Ausländer.
Und wir, die Ausländer, sind eine überschaubar kleine Gruppe in der Republik Chinas, nicht zu verwechseln mit der Volksrepublik Chinas! Taiwan ist die ROC, Republic of China; China Mainland ist die PRC, People’s Republic of China; zur Insel Taiwan kann man auch Formosa sagen, fragt die Portugiesen warum.
Manchmal frage ich mich, warum mich die Leute schief anschauen. Dann fällt mir wieder ein: Achso, ich sehe ja abnormal aus, stimmt. Und im gleichen Moment kommt mir dann wieder die entblößende Frage des Handyshopverkäufers in den Sinn, ob das denn meine natürliche Haarfarbe sei.
Es geht so weit, dass wir, die Offensichtlichen, die weißen Ausländer westlicher Herkunft, uns auf der Straße unbekannterweise lächelnd zunicken. Verstehe ich jetzt die Berliner Ghettobildung? Ach, Döner…
Ich bin ein Ausländer. Und sehr bald sogar amtlich Alien. Denn ich habe die Umwandlung meines Residency Visums in ein Alien Residency Visums beantragt, mit dem ich endlich ein irdisches Konto bei einer taiwanischen Bank eröffnen darf. Und die hier gar nicht so grimmig dreinschauenden Grenzbeamten lassen mich mit dieser ARC-Karte sogar wieder in ihr Land, wenn ich die Insel mal für eine kleine Entdeckungsreise verlassen sollte. Könnte ganz nützlich sein.
Die metaphorische Dramatik der „Servicewüste Deutschland“ bekommt beim Besuchen einer taiwanischen Behörde eine neue Qualität. Im Warteraum der National Immigration Agency, quasi die Ausländerbehörde Taiwans, ist man von einer Batterie U-förmig angeordneter Arbeitsplätze umgeben. Das heißt, alle Beamten werden von wiederum allen gesehen, auf das den deutschen Beamten nachgesagte Mikado muss verzichtet werden. Als ich beim Ausfüllen des Antrages zu dem Feld des genauen Wohnorts kam und nur den Namen meines Studentenwohnheims eintragen konnte, flitzte die bemühte Angestellte im Sauseschritt durch die Reihen und fand freundlicherweise die genaue Adresse mit einem Lächeln für mich heraus. Ja sie flitzte, oder sauste sie im Flitzeschritt? Man weiß es nicht.
Generell gehen Angestellte nicht wie ich es aus Deutschland kenne. Sie flitzen für den Kunden und man bekommt wirklich das Gefühl, da bemühe sich jemand ernsthaft. Das soll nicht immer so gewesen sein, angeblich wiedereinmal ein positiver Einfluss Japans.
Inzwischen habe ich auch erlebt, was ein Service-Overload ist. Ein erquickendes Beispiel wäre einer der vielen Convenient Stores wie 7-Eleven oder Family Mart, sollte man sich länger als 5 Minuten darin aufhalten. Kommt zum Glück nicht so oft vor, weil mein Einkauf sich meist auf eine Flasche Tee (die Auswahl ist unglaublich) oder eine Süßigkeit beschränkt (meist mit Doraemon auf der Verpackung drauf, ich kann dieser Weltraumkatze einfach nicht widerstehen). Der Grund ist folgender: Die Mitarbeiter wurden offensichtlich darauf geschult, oder sagen wir eher militärisch gedrillt, jedes Mal, wenn ein Kunde den Laden betritt, lauthals „Huan1ying2 guang1lin2“ durch den Laden zu rufen. Das heißt soviel wie „Herzlich willkommen“. Ist ja eigentlich ganz nett. Aber sind es mehr als ein Mitarbeiter, wird das ganze zum Chor. Zudem stimmt sich zuvor eine schmerzhaft nervtötende Jinglemelodie ein, die durch eine Lichtschranke am Eingang ausgelöst wird und das eigentliche Signal für die Begrüßungsformel gibt. Parlow würde sich im Grabe umdrehen.
Und das war noch nicht alles.
Das höchste der Gefühle war bisher ein Restaurant mit dem Namen Mr. Onion. Unfassbar populär, denn es gibt dort Spaghetti. (Das Thema hatten wir ja schon.)
Sollte ein Hungriger es ja auch nur wagen einen einzigen Schritt in ihre Gefilde zu setzen, beginnen die Kellnerinnen, die wie hungrige Hyänen mit geölten Kehlen zwischen den Tischen der Speisenden arglistig herumstreunen, den seelenlosen Chor der Scheißfreundlichkeit anzustimmen: Betont nasal mit hohen, schrillen Stimmen pressen sie ihre scharfkantigen, heiligen vier Worte wie ein zynisches Amen in die wehrlosen Ohren der ungläubigen Gäste: „HUAN-YING GUANG-LIN!!“
Wer da noch entspannt seine Spaghetti genießen kann, sollte sich die Ohren säubern.
Bon Appetit. (Dafür gibt es übrigens kein chinesisches Äquivalent, man isst einfach los.)
Nach zwei Wochen formosaischer Lebenserfahrung möchte ich eine erste Zwischenbilanz ziehen. Bitte denkt euch ein passendes Rangmerkmal für die folgende Top-Ten-Liste aus und schreibt es in die Kommentare oder auch nicht.
10. Teigsäckchen
Es kann gefährlich heiß die Soße spritzen, wenn man in sie hereinbeißt. Sie können auseinanderfallen, wenn man sie versucht mit den Stäbchen ungeübt zu packen. Gedämpft, gekocht, mit Suppe oder ohne: Dumplings gibt es in vielen Variationen.
Folgende Schrittfolge für einen unfallfreien Verzehr hat sich mir als hilfreich erwiesen:
a. Dumpling mit den Stäbchen aufspießen (Fortgeschrittene können sie auch packen)
b. Eine kleine Ecke des Teiges abbeißen, mit einem Löffel in der anderen Hand die herauslaufende Soße auffangen.
c. Die Soße aus dem Löffel schlürfen.
d. Nach einiger Zeit ist die Füllung abgekühlt, den Dumpling nun vorsichtig in Sojasoße mit Ingwer tauchen.
e. Ein Haps ist einfacher, bei zwei Häpsen läuft man wiederum Gefahr, dass die Füllung herausfällt.
Weiß zwar nicht, ob das chinesische Äquivalent des Knigge dies untersagt, aber es funktioniert. Ich weiß eigentlich nie, was mich im dünnen Teigmantel erwartet. Dennoch, ein Dutzend Prawn-Dumplings in selbstgemischte Soße aus Chilli, Sojasoße und Vinnegar getunkt sind ein wahrer Gaumenschmaus. Ich sage das nicht, weil ich kurz davor das gekochte Blut in der Suppe dezent zur Seite schob oder noch immer von frittierten Hühnerbeinen träume. Es schmeckt wirklich richtig gut. Hao3 hao3 chi1!
9. Kein Müll, keine Mülleimer.
Wie genau das System funktioniert, habe ich noch nicht herausfinden können. Ich glaube mal gelesen zu haben, die Japaner bräuchten keine öffentlichen Mülleimer, da sie prinzipiell ihren auswärts verursachten Müll mit nach Hause nähmen. Wie schon in Indien laufe ich mit wachen, nach Mülleimern Ausschau haltenden Augen durch die Stadt und trage dabei eine immer größer werdende Müllansammlung von Plastikflaschen und Tüten mit mir herum. (Irgendwann komme ich dann auch mal auf die Idee, die Plastikflaschen in die Tüten zu tun.)
Der Unterschied zu Indien ist:
Der Müll wird hier nicht auf die Straße oder demonstrativ neben die „Let’s Keep Goa Clean“-Schilder geworfen, er verschwindet auf wundersame Weise. (Wo genau, werde ich noch herausfinden.) Und die Straßen, insbesondere die Bahnhöfe sind unfassbar sauber. Wirklich, dagegen sieht ein Berliner U-Bahnsteig aus wie eine Gasse in Paharganj. Erwähnte ich schon die Strafe für Kaugummikauen in der MRT? 1500 NTD, umgerechnet fast 40€. Das sind etwa 10% des durchschnittlichen Monatsgehaltes eines Taiwaners. Überraschung, es kaut wirklich keiner.
8. Bahnsteigwarteschlangelinien
Und weil wir gerade beim unterhaltsamen Thema Bahnhöfe sind, sollten die Fußbodenmarkierungen neben den Waiting Zones for Female Passengers at Night eine Erwähnung finden. Die Waiting Zone markiert ziemlich genau, wo sich die Tür des Zuges befinden wird. Und von dort aus gehen wiederum Bodenmarkierungen ab, die die Warteschlangen vorschreiben. Und die Taipehaner halten sich tatsächlich daran. Sie warten in Diagonalen auf das, was ihnen gebührt. Fehlt eigentlich nur noch Anfassen und Zweierreihen.
Im nächsten Teil geht es um „Die Schuhe von Odysseus“ und „Das Glühwürmchen, das Verspätung hatte“,
Fortsetzung folgt.
RebellischinderMRTKaugummikauend,
Paul/柏逸
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