Ein haariger Beitrag wird das hier werden. Zur Einstimmung, vielleicht erst einmal das hier:
Ich darf behaupten, asiatische Männer gehören nicht zur haarigsten ethnischen Gruppe im internationalen Vergleich. Südeuropäer führen höchstwahrscheinlich die Spitzengruppe an oder vielleicht auch Lateinamerikaner, wobei ich mir da nicht so sicher bin. Die Tendenz hingegen ist eindeutig, asiatische Männer haben weniger Gesichtsbehaarung als zum Beispiel ein männlicher Durchschnittseuropäer. Meist beschränkt sich der Wuchs auf die Oberlippengegend und Kinn. Da erinnere ich mich doch gerne an Max Goldts “Bartschattenneid”. Aber das ist eine andere Geschichte.
Jedenfalls befand ich mich in geselliger Runde mit meiner Gruppe des NTU-Kochclubs in einem gehobenen chinesischen Restaurants im Da’An-District Taipehs. Gesellige Runde ist hier sogar wortwörtlich zu nehmen, da Gäste in derartigen Restaurants gerne an einem größeren Rundtisch platziert werden. In der Mitte des Tisches befindet sich eine erhöhte, konzentrisch angeordnete Drehplatte. In den Staaten wird dieses Instrument der geselligen Speisenrotation auch gerne als “Lazy Susan” tituliert. Ich schweife ab.
Was hat das nun mit Haaren zu tun? Mein Sitznachbar unterhielt sich über seine schmerzhaften Erfahrungen der Gesichtshaarentfernung.
Augenbrauen zupfen scheint ja ein übergreifender Trend in der Männerwelt zu sein. Aber halt, es ging um die Barthaare.
Es sei doch so schmerzhaft, sich die Barthaare zu zupfen. “Moment Mal, du
z u p f s t dir deine Barthaare?”, entgegnete ich. Ja, denn das Rasieren möge er nicht so gerne und es sehe zudem reiner aus, wenn er sich das Barthaar zupfe. (Zu Schillers Zeiten wurde wahrscheinlich “züpfe” be…, äh, benützt.)
Haben Gillette und Wilkinson auf stylische Pinzetten für den asiatischen Markt diversifiziert? Ich werde in Zukunft mal darauf achten, noch scheint es mir entgangen zu sein.
Erstaunt berichtete ich einem koreanischen Freund, der sich dabei gerade eine Reiscreme-Gesichtsmaske auf dem Dach unseres Studentenwohnheims einmassierte.
Ob er das denn nicht seltsam finde, vielleicht sogar unmännlich. Ich vermutete, Korea habe vielleicht mit seinen zwei Jahren Militärdienstpflicht ein anderes Idealbild vom Mann, männlicher eben. Pro Jahr haben die Rekruten übrigens ganze 20 Tage Urlaub, am Wochenende darf keiner nach Hause. 24 Monate lang. Das erste halbe Jahr dürfen Rekruten niemals alleine sein. Sogar der Toilettengang wird in den ersten sechs Monaten von einem anderen Soldaten begleitet. Warum? Die Suizidrate sei relativ hoch. Von den 250 Neuanfängern meines koreanischen Kommilitonen haben sich zwei im ersten halben Jahr das Leben genommen. An der Nordkoreanischen Grenze sei der Druck sogar noch höher, verständlicherweise.
Er massierte mit kühlem Blick weiter die weiße Creme in sein Gesicht, die im Licht der lichtverschmutzten Wolkendecke Taipehs ganz gelblich wirkte.
Kein Verwunderung seinerseits, denn er zupfe sich sein Barthaar aus gleichem Grunde auch. Und überdies, die grün-braune Tarnfarbe während seiner Militärausbildung sei gar nicht gut für seine Gesichtshaut gewesen.
Zum Abschied erwähnt er noch scherzhaft, wie sehr er doch Gravitation hasse, sie ziehe die Gesichtshaut nach unten. Ich beobachte gespannt die kreisenden Finger in seinem Gesicht. Tatsächlich, er scheint wissend definitiv mehr Druck bei der Aufwärtsbewegung auszuüben.
Ich zupfe mein Barthaar trotzdem (noch) nicht. Das ist kein mangelnder Integrationswille, sondern Überzeugung, oder so was.
Dennoch, der Wuchs meines Haupthaares schreitet in normalem Tempo voran und wollte mal wieder geschnitten werden. Also auf zum Friseursalon, von denen es hunderttausende in Taipeh gibt, meist leicht versteckt in der zweiten Etage der grauen Häuserreihen, erreichbar durch eine enge Treppe zwischen schmalen Gässchen.
Obwohl ich wohlvorbereitet ein Selbstbildnis meines letzten, bei mir Zufriedenheit hervorrufenden Haarschnittes mitbrachte, wurde mir ein japanisches Fashion-Magazin mit einer Auswahl an Frisuren vorgelegt.
Das gleiche geschah auch schon beim letzten Mal, doch dieses Mal musste ich einfach ein paar Seiten abfotografieren.
Das Cover gibt eine gute Vorahnung der angestrebten Zielgruppe…
…die Rückseite wäre da gar nicht mehr nötig gewesen, die Botschaft ist relativ klar. Es geht hier um einen Haarschnitt, oder?
Ja, wie würde ich denn gerne aussehen… vielleicht wie Nummer 001? Mir fehlt die passende Sonnenbrille, glaube ich…
Ein versteckter Warnhinweis: Der müde Blick des Models auf der linken Seite scheint zu implizieren, dass diese Frisur recht zeitaufwendig gewesen sein muss…
Wenn mich nicht alles täuscht, haben diese hier doch bei den Kickers damals mitgespielt!
Ich konnte mich bei dieser Auswahl gar nicht so recht entscheiden…
…und beharrte (behaarte!) auf einem… für mich “normalen” Schnitt.
Beim Friseur in Taiwan gibt es sogar Fernseher und die Haarwäsche ist ein Erlebnis. Denn statt einer zarten Kopfmassage bestehend aus zärtlich-kreisenden Bewegungen der Fingerkuppen parfümierter Damen, gleicht die Haarwäsche eher einem groben Schrubben.
Die Friseurin scheint mit ihren Nägeln meine Kopfhaut erneuern zu wollen, es gleicht einer revitalisierenden Enthäutung meines Hauptes.
Auf und ab, auf und ab, und noch eine Schicht! Weg damit! Zum Glück werde ich nicht kahl rasiert, sonst würde meine gerötete Kopfhaut der UV-Strahlung schutzlos ausgesetzt sein. (Vielleicht ein weiterer Grund für den exzessiven Gebrauch von Sonnenschirmen in Asien.) Hinweg ihr Fleckenzwerge! Ich fühle mich, als entdecke meine Wäscherin immer wieder hartnäckigen Dreck zwischen meinen Haarwurzeln, wie als wären meine Haare doch nur Bettlaken und Spannbetttücher auf dem Waschbrette des nahe gelegenen Baches. Blütenweiß muss es werden, Kernseife kommt zum Einsatz, und sie muss ihr bestes geben.
Dabei sei erwähnt, dass Taiwaner panische Angst vor Regentropfen haben. Sobald es auch nur die ersten Tröpfchen wagen den Asphalt ein wenig zu verdunkeln, erblicke ich Gerenne zu den überdachten Gehwegen. Diejenigen, die zum Straßenwechsel gezwungen sind, schützen sich mit bloßen Händen, Bücher, Tageszeitungen. Ja, auch klassische Regenschirme sind dabei.
Warum das denn so sei, Regen sei doch etwas schönes…? Ich erinnere mich, wie wir zu Grundschulzeiten auf dem Berliner Schulhof mit offenen Mündern durstend die Tropfen fingen.
Und dann höre ich immer wieder das gleiche: Der Regen sei sauer, giftig, die Industrie! Fabriken! Schau dir doch die Häuser an! Der Regen, ach, und passiert es zu oft, die Haare fallen aus, ganz bestimmt.
Um ehrlich zu sein, ich habe keine erhöhte Glatzenquote bisher feststellen können. Und die zahllosen Straßenkatzen und –hunde scheinen auch normal behaart zu sein.
Zurück zum Thema, nach überraschend schnell vergehenden 40 Minuten ist es dann so weit, ich werde geföhnt. Zugegeben, das ist sensationell und ganz anders als sonst wo auf diesem Planeten.
Es ist April, ich werde wahrscheinlich nur noch einmal die pflugartigen Nägel der Friseurinnen im Acker meiner Kopfhaut spüren dürfen. Darauf freue ich mich jetzt schon.
Ungezupft,
柏逸/Paul
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